Kriegsgefangenschaft 2.0

Der Blog für Kriegsgefangenschaft, Zwangsarbeit und Repatriierung

Martin Albrecht/Helga Radau: Stalag Luft I in Barth (2012)

Durch Zufall bin ich vor einigen Tagen auf das gerade erst vor einigen Tagen erschienene Buch „Stalag Luft I in Barth. Britische und amerikanische Kriegsgefangene in Pommern 1940 bis 1945“ gestoßen. In dem gerade einmal 178 Seiten umfassenden Band finden wir viel bereits aus den verschiedenen Aufsätzen von Albrecht und Radau aus den letzten Jahren Bekanntes und einige neue interessante Geschichten.

Leider ist der Band nicht sonderlich leserfreundlich geraten und misst sowohl ein Inhaltsverzeichnis, ein Register und eine ordnungsgemäße wissenschaftliche Zitation der verwendeten Quellen. Dabei hätte den Autoren eine gute Gliederung gut getan, denn immer wieder gibt es große inhaltliche Sprünge, die den Lesefluss leider sehr stören. Bislang stolpert man auch über die Naivität oder Unkenntnis der beiden Autoren (die übrigens beide zum Förderverein Dokumentations- und Begegngungsstätte Barth e.V. gehören), z.B. wenn das Schicksal im Stalag Luft I internierten alliierten Luftwaffenoffiziere und das der in unmittelbare Nähe zu ihnen internierten KZ-Häftlinge im KZ-Außenlager Barth miteinander verglichen wird: „Zweierlei Maß war die Regel. Augenscheinlich dokumentierte des NS-System, dass es nicht daran dachte, seine Gegner und Feinde gleich zu behandeln. […] Was war das für ein exotisches Lager, in dem der deutsche Kommandant für einen vereitelten Fluchtversuch Stubenarrest und Rauchverbot verhängen durfte, während sein Amtsbruder von der SS nur einen Gewehrschuss entfernt auf dasselbe Delikt […] grundsätzlich mit Mord reagierte? Gab es eine Gefangenschaft de luxe im nationalsozialistischen Deutschland?“ (S. 11f.).

Trotz alledem ist es ein bisweilen recht interessanter Band mit zahlreichen zeitgenössischen Fotographien und Zeichnungen der ehemaligen Gefangenen, in dem das ein oder andere bislang (zumindest mir) unbekannte Detail erwähnt wird. Schon allein die Geschichte des Stalag Luft I dürfte den wenigsten geläufig sein. Wenn die Forschung überhaupt einmal Luftwaffen-Lager wähnt, dann noch am ehesten das u.a. durch die „Great Escape“ berüchtigt gewordene Stalag Luft III (Sagan).

Daher ist das vorliegende Buch trotz aller Mängel durchaus lesenswert. Schön geschildert wird z.B., wie die Piloten der RAF bereits während ihrer Ausbildung auf eine mögliche Kriegsgefangenschaft vorbereitet und wie sie während ihrer Einsätze dafür ausgerüstet wurden (S. 44-48 sowie 58-61). Interessant ist auch das Schicksal der jüdischen Kriegsgefangenen, die Anfang 1945 im Teillager Nord I konzentriert wurden und vermutlich in ein KZ abtransportiert werden, was jedoch vom alliierten Lagerkommandaten (Colonel Zemke) in letzter Minute verhindert werden konnte (S. 83). Außergewöhnlich schließlich war der Besuch des ehemaligen Schwergewichtsweltmeisters im Boxen, Max Schmeling, am 3. April 1945, der – so vermuten die Autoren – weniger den tristen Lageralltag aufhellen sollte als vielmehr handfeste politische Absichten verfolgte. – Leider werden gerade diese Aspekte nur kurz ausgeführt. Eine Einordnung in einen größeren Kontext unterbleibt leider.

Während die Lagergeschichte recht kurz behandelt wird, nimmt das Ende einen äußerst breiten Teil des Bandes ein (S. 105-126). Das Stalag Luft I wurde bei Kriegsende – anders als viele andere Lager – nicht geräumt, sondern nach Verhandlungen zwischen dem deutschen Lagerkommandanten und dem bereits erwähnten Colonel Zemke am 30. April 1945 an die alliierten Gefangenen übergeben. Am 1. Mai erreichten schließlich die ersten sowjetischen Einheiten das Lager und übernahmen die Kontrolle. Die knapp 9.000 alliierten Offiziere wurden daraufhin vom 12. bis 14. Mai im Rahmen der Operation „Revival“ mit 300 Bombern der USAF ausgeflogen, womit sie dem Schicksal vieler ihrer Kameraden nur knapp entgingen: einer langwierigen Repatriierung über Odessa (S. 104).

Insgesamt bleibt festzuhalten: ein recht interessanter Beitrag zu einem von der Forschung bislang vernachlässigten Lager, der trotz zahlreicher methodischer und inhaltlicher Schwächen den ein oder anderen neuen Aspekt beleuchtet.

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